Dem Ernst des Lebens sein Bruder...
Hallöchen, ich hab mich jetzt doch entschieden einen neuen Eintrag zu Schreiben, statt den Alten fortzuführen. Daher ist der Bau-Warnhinweise im Alten verschwunden.

Der Start in die neue Woche ist kühl. Die Sonne scheint, aber die Temperaturen werden deutlich herbstlicher. Im Büro beschäftige ich mich zunächst weiter mit dem GIS-Frontend. 8:30 ist dann Wochenbesprechung mit allen Kollegen, die Baustellen vor Ort betreuen, im Messkeller. Es wird Kaffee getrunken, vielleicht etwas gegessen und dargelegt welche Baustellen wer in der laufenden Woche zu bearbeiten hat und welche Besonderheiten es gibt. Eine Besonderheit gibt es auf jeden Fall für mich: Einige Baustellen kann ich vorerst nicht betreten, da man dafür einen Dienstausweis benötigt und für diesen benötigt man, na was? Richtig! Die Personnummer und vermutlich auch noch die schwedische ID-Karte, die belegt, dass ich ich bin und mir diese Personnummer zugeordnet wurde... Nun ja, wie sang ein gewisser Herr Blanco nochmal "Ein Bisschen Bürokratie muss sein! Dann ist die Welt voll Sonnenschein...". Ich fahre also mit einem anderen Kollegen raus, auf eine Baustelle, die ich betreten darf.
Die Nachmittags-Fika ist heute etwas Besonderes. Es ist Apfeltag. Äh, dass muss ich erklären. Es gibt in der Kommune quasi AG's für die Mitarbeiter, also freiwillige Arbeitsgruppen, in denen man verschiedenen Passionen nachgehen kann. So gibt es eben auch eine Gruppe, die ab und an gemeinsam backt. Just diese Gruppe hat dieses Jahr das erste Mal einen Apfeltag veranstaltet. Das bedeutet es gibt schwedischen Apfelkuchen, ein Rührkuchenteig mit Apfelstücken und Zimt drauf, und dazu Vanillesoße. So wie die Schokolade auf das halbe Schweinsohr gehört, so gehört die Vanillesoße zum Apfelkuchen. Im ersten Moment etwas ungewöhnlich, aber schlußendlich sehr lecker! Und dazu ein heißer Kaffee. Nur das Arbeiten danach ist etwas störend beim Verdauen. 😉

Am nächsten Tag darf ich einen Kollegen, der nur einseitig hört, bei der Königsdisziplin der staatlichen Vermessung ins Gelände begleiten: Das Grenzsteinsuchen!
Um das ganze etwas zu illustrieren. Mein Kollege hat das GPS in der Hand – ein zwei Meter langer Stab mit einer diskusförmigen Antenne am oberen Ende und einer Spitze am unteren Ende, sowie einem Feldcomputer und einer Dosenlibelle dazwischen. In der Jackentasche hat er eine Farbspraydose. Ich: Den Spaten abenteuerlustig über die Schulter geschwungen, fünf Markierungspflöckchen in der anderen Hand, einen kühnen Blick im Gesicht und eine viel zu große Jacke an.
Direkt an der Wegkante beginnt dichtes Gebüsch. "Den da hab ich schon gefunden." Er deutet auf eine im Gebüsch wage erkennbare Anhöhe circa sieben Meter im Kraut. "Der Nächste liegt ungefähr genauso weit drinnen und 50m weiter in diese Richtung liegen." Ja und "in diese Richtung" ist Wald. Todesmutig schlagen wir uns ins Gebüsch. Nach etwa 50m stolpern wir tatsächlich über einen merkwürdig deplatziert wirkenden Stein. Das GPS-Signal ist im Wald in etwa so gut wie meine Handschrift in der ersten Klasse, also nur auf einen Meter genau erkennbar, und der Stein hat keine erkennbare Markierung. "Das ist ein Rohstein, ein sehr alter Grenzstein." erklärt mein Kollege.
Bei der Unterteilung von Forst- und Agrargrundstücken hat man in Schweden um 1800 wohl keine Atomspaltung betrieben. Der Stein läuft nach oben hin leicht schmal zu. Der Ermessensspielraum beläuft sich auf rund 30cm. "Wenn man bedenkt, dass die Grenzen oft händisch auf Karten mit einem Maßstab von ungefähr 1:1.000 bis 1:10.000 eingetragen worden sind, sind die Grenzsteine schon sehr genau." Durch den Kartenmaßstab, kann ein Strich auf der Karte in Wirklichkeit zehn Meter dick sein. Ein Grenzstein, der auf 30cm genau bestimmbar ist, ist also sehr genau. Aber glücklicher Weise wussten die Altforderen, dass ein Strich in einer Karte nicht eben exakt ist und schrieben Maße dazu, die sie mit Messketten bestimmt haben. Auf eben diese Maße und Korrekturen, die sich durch bereits gefundenen alte Grenzsteine bestimmen lassen, erhält man relativ genaue Koordinaten der gesuchten Grenzsteine. Der Grenzsteinsucher ist quasi der Indianer Johns unter den Vermessern.
Nach drei Stunden semiarchäologischer Außendienstarbeit haben wir 4 von 8 Punktmarkierungen gefunden und sind einigermaßen zufrieden. Ich entdecke drei Zecken auf meiner knatschgelben Arbeitshose. Ja, das Leben ist schon gefährlich als Vermesser. Das ist nur was für Menschen mit stahlharten Nerven. Außerdem ist gleich Mittagspause.
Nachmittags setzen wir unsere Suche nach Steinen an anderer Stelle fort und werden fündig. Etwas beunruhigend finde ich eine Markierungsart, die wir auf einem großen, gewachsenen, runden, sehr gemütlich aussehenden Stein finden. Dazu wird zunächst ein Loch gebohrt und dann ein Eisendorn eingesetzt. Unter Moos verborgen ist der dann fast unsichtbar. Äh, bitte prüft große moosüberzogene Steine auf evtl. herausragende 10cm lange rostige Metaldorne bevor ihr euch schwungvoll setzt. Pünktlich zur Kaffeepause sind wir fertig. Im Büro wird zunächst pausiert und dann etwas Auswertung betrieben.

Der Mittwoch beginnt mit einer Besprechung mit allen Kollegen unserer Unterabteilung. Das findet wohl alle zwei Wochen statt. Damit jeder im Bilde ist, wie der Stand bei welchem Projekt ist. Es werden auch Änderungen und evtl. zukünftige Projekte besprochen.
An diesem Tag bleibe ich im Büro. Eine Kollegin zeigt mir zunächst die hier angewandte Technologie zur Stereobild-Kartierung und lässt mich dann auch selbst kartieren. Das ist spannender als es vielleicht klingt. Mit 3D-Brille und Maus bewaffnet sitzt man am Computer und zeichnet markante Geländemerkmale nach, entscheidet was irrelevant ist und bereitet damit die Arbeit des Außendienstes vor. Endlich mal eine sinnvolle Anwendung von 3D-Monitoren. 😋

Donnerstags bleibe ich weiterhin im Innendienst. Die Arbeit vom Vortag ist schließlich noch nicht abgeschlossen. Denn das reine Kartieren ist nicht die ganze Arbeit. Es sind rechtliche Fragen zu klären, das Layout zu setzen,...
Nachmittag habe ich einen Termin beim Fotografen. Jeder hier hat ein Schild an der Tür mit Namen und Foto. Ja und letzteres hat bei mir noch gefehlt. Der Fotoladen ist nur 10min Laufweg entfernt und der Fotograf freundlich. Im Untergeschoss werden die Bilder, stehend vor einem neutralen Hintergrund gemacht. Ich hinterlasse meine Firmen-Email und das wars.
Kurze Zeit später erhalte ich eine Nachricht aus Rinkaby. Ich habe einen Brief erhalten – vom Skatteverket. Endlich! Meine Personnummer ist da!
Nach der Arbeit fahre ich daher nicht heim, sondern erstmal dahin um den Brief abzuholen. Eigentlich will ich ja gar nicht lange stören, am Ende bleibe ich zwei Stunden. Wir quatschen und ich werde auf ein paar Bemmen zum Abendbrot eingeladen. Der Herr des Hauses ist nicht da. Die Damen aber schon, drei Stück. Die jüngste ist noch kein Jahr und macht ziemlich lautstark klar, dass sie Hunger hat. Ihre große Schwester spielt und die Mutti entschuldigt sich bei mir für die Lautstärke, denn eigentlich ist die Kleine ganz lieb, aber Hunger macht ja bekanntlich "böse". Nach dem das arme Kind gegessen hat ist die Welt wieder gut. Es ist sehr interessant sich zu unterhalten.
Hergekommen sind sie vor 10 Jahren, er schon vor 12. Zu der Zeit hatte er seinen Dachdeckermeister gemacht und in Deutschland war Flaute in der Branche. Da gab es wohl von der ARGE eine Aktion für Handwerker erst für Frankreich und dann für Schweden, mit Sprachkurs. Jedenfalls ist er mit löchrigen Schwedischkenntnissen hier hoch gezogen in das Haus, welches ich anmieten werde. Zu der Zeit war es nur eingeschossig und sehr klein. Sie hat zu der Zeit noch in Dresden Architektur studiert. Als sie dann fertig war, etwa 2 Jahre später ist sie nach gezogen. Ohne so richtig zu wissen was sie erwartet. Dann haben sie die zweite Etage angebaut. Das erste Kind war unterwegs und schließlich ist man ein paar Häuser weiter gezogen. Das Leben ist nicht immer einfach, aber es ist gut. Sie arbeitet in einem Architekturbüro in der Stadt. Nicht weit von meinem Arbeitsplatz entfernt. Wenn es im Frühling wärmer wird, den Sommer über und Anfang Herbst fährt sie mit dem Fahrrad. Dann mit dem Auto. Aktuell ist sie in Elternzeit, aber Anfang Januar wird sie wahrscheinlich wieder arbeiten. Wenn es zeitlich passt kann sie mich dann auch mitnehmen sagt sie.

Am nächsten Morgen ist Monatsbesprechung mit der gesamten Belegschaft des Stadtbauamtes. Es werden große Bauprojekte, Auszeichnungen für Besondere Projekte und personelle Veränderungen besprochen. Eine dieser Veränderungen ist eine Dame, die in den Ruhestand geht. Seit 1975 arbeitete sie hier, so lang wie noch Keiner vor ihr. Die Abschieds- und Dankesworte des Leiters sind nicht abgelesen, humorös und herzlich. Die andere Veränderung bin ich. Glücklicherweise ist mein Schwedisch mittlerweile besser geworden, denn ich soll mich selbst vorstellen. Ich bin vor gewarnt und hab mir ein paar Stichpunkte gemacht, damit ich nicht vor lauter Aufregung alles vergesse. Meine Frage, ob ich nach vorn treten soll oder am Platz stehen bleiben darf, hat kurzes Gelächter zur Folge. Ich sage kurz woher ich komme, wie alt ich bin, meine Ausbildung und was ich beruflich vorher so gemacht habe. Da ich keine Ahnung habe wie man so einen Monolog abschließt sage ich am Ende "Ja... Das bin ich." und offensichtlich war das gut so.
Wegen des Verabschiedens der langjährigen Kollegin gibt es danach zum Kaffee "smörgåstårta". Das ist eine Art Herzhafter Kuchen aus Brot, Krabben, Lax, Gurke, Majonaise, etc. dekoriert mit Salatblättern. Schmeckt gut und ist sehr gehaltvoll, man braucht nur ein Stück und ist pappsatt. Um ein lecker zu erhalten, könnte die Majonaise für meinen Geschmack herzhafter gewürzt sein. Aber es ist durchaus ein Erlebnis. Ich brauch danach jedoch eine weitere Tasse Kaffee um meinen verdauenden Körper in Arbeitsbereitschaft zu bringen.
Auch heute bleibe ich im Büro ein Kollege erklärt und zeigt mir und einem weiteren Kollegen unsere interne Webarbeitskarte sowie ihre Funktionen und Einsatzmöglichkeiten. Nachmittags habe ich Zeit mich weiter mit unserem GIS und mit Vermessungstechnischen Grundlagen, wie dem schwedischen Referenzsystem zu beschäftigen und außerdem ist Freitag, da arbeitet man nicht so lange.



Der Samstag ist wie die ganze Woche: Sonnig und recht trocken. Das ist merkbar, als wir am Samstag Nachmittag nach Pilzen schauen. Nur an wenigen Stellen sind sie gewachsen und einige sind schon halb getrocknet. Hasse und ich unterhalten uns über Renten- und Vorsorgesysteme. Er hat selbst einige Zeit in der Banken- und Versicherungsbranche gearbeitet. Ich stelle fest, dass der Gebrauch des Wortes Aktie im Deutschen und schwedischen nicht ganz gleich ist. Oder aber, dass ich zu wenig Wissen in diese Richtung habe. Denn es wird hier auch dafür verwendet, wenn man einem kleinen Unternehmen vor Ort Geld für Investitionen gibt und das dann verzinst wird. Für mein Verständnis haben Aktien nur Unternehmen, die Börsen-notiert sind. Fonds sind, soweit herrscht Einigkeit, doof. Weil man da nicht weis, was alles dahinter steckt.
Ein Haus mit Grundstück, auf dem man auch etwas anbauen kann ist auf jeden Fall eine gute Sache. Bei Waldgrundstücken, wird es schon etwas komplizierter.
Viele hier haben ein Stück Wald. Das Holz wird gern als Zubrot für den Ruhestand oder als Sicherheit für schlechte Zeiten genommen. An sich keine schlechte Idee. Vor einigen Jahren jedoch hatte man hier jedoch einen fürchterlichen Sturm. Viele Hektar Wald waren umgefallen. Der Holzpreis sank auf ein Rekordtief. Einige Leute hatten gerade erst ein Haus gekauft oder gebaut und hatten den Wald als Sicherheit genommen um ihre Kredite abzuzahlen, nun waren sie komplett ruiniert. Die Anzahl der Opfer während des Sturms war sehr gering, danach wurde es schlimmer.
In Bezug auf die Rentenvorsorge gibt es in Schweden ähnlich wie bei uns eine staatliche und verschiedene private Modelle. Die meisten größeren Unternehmen haben eine Art Zusatzrententopf, in den man einzahlen kann ähnlich wie bei uns. Intensiver hab ich mich damit jedoch bisher nicht befasst. Ersteinmal Personnummer, Festanstellung und diese ganzen Dinge haben, dann über alles Weitere nachdenken.

Wettertechnisch ist der Sonntag etwas neben der Spur. Es ist grau, kühl und nieselig. Im Garten fallen die Äpfel von den Bäumen. Ich habe mir unter der Woche Strickzeug besorgt. Ich mummle mich ein, schreibe am Blogg, koche Apfelmuß und beginne schließlich zu stricken. Ja dafür ist das Wetter gerade recht...

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Der Ernst des Lebens
Es ist dunkel als mein Wecker klingelt, dennoch bin ich sofort wach. Sechs Uhr ist es. Ich stelle den Kaffetopf auf den Herd und baue mir Frühstück – Obst und Müsli. Als es die Uhr sieben zeigt schwinge ich mich auf mein Rad. Mittlerweile ist es hell. Das Wetter ist gut, meine Regenhose hab ich dennoch über gezogen – als Windschutz.
Ich bin natürlich viel zu zeitig da und trinke meinen mitgebrachten, nur noch lauwarmen Kaffee, aus der Termostasse. Im Foyer ist es warm. Ich setze mich und warte. Dieser Gebäudeteil sieht neu aus und besteht fast ausschließlich aus Holz und Glas. Der Rest sieht von außen wie ein typischer Plattenbau aus. Es gibt ein paar öffentliche Computer und freies W-Lan. Pünktlich um acht werde ich vom Personaler, den ich von Telefonaten und E-Mails bereits kenne, abgeholt.
In seinem Büro zeigt er mir einiges Wissenswertes zum Stadtbauamt und gibt mir die Unterlegen die ich brauche. Da ich aktuell noch keine Personnummer (PN) erhalten habe, bin ich im System zunächst nur als Praktikant geführt – der einzige Status, der ohne PN funktioniert. Darum habe ich auch erst mal keinen Zugriff auf bestimmte Inhalte und muss meine Arbeitsstunden händisch schreiben. Sobald ich meine PN erhalte wird das aber korrigiert und meine Stunden nach getragen. Lohnzahlung ist daher auch erst mal nicht möglich, aber das hatte ich mir aber schon gedacht. "Das bekommst du dann selbstverständlich nachträglich ausgezahlt. Das Computersystem ist leider etwas dumm." sagt er.
Um neun gibt es dann mit der gesamten Belegschaft meiner Unterabteilung eine "Fikapus" (Kaffeepause) in der wir, ja Kaffee trinken belegte Brötchen essen und sich jeder etwas vorstellt. Es ist anstrengend zuzuhören, da jeder einen etwas anderen Dialekt hat aber ich verstehe das meiste. Als ich mich dann selbst vorstellen soll, bin ich total nervös. Das Sprechen fällt schwer und mir entfallen in der Aufregung ein paar Worte. Aber das ist nicht schlimm, man versteht mich trotzdem.

Das Büro, auf dessen Schild schon mein Name steht, ist eigentlich von einem anderen Kollegen. Der ist jedoch bis April in Vaterschaftsurlaub. Auf dem Schreibtisch steht eine kleine Pflanze mit einem Begrüßungskärtchen. Ich bekomme einen Mentor, der ungefähr so alt ist wie ich, evtl. etwas jünger. Schwer zu sagen, junge Männer mit Bart kann ich schlecht einschätzen... So viele neue Menschen, so viele Eindrücke und dann auch noch die andere Sprache. Mein Kopf ist voll. Glücklicher Weise ist das dem Abteilungsleiter klar und er meint, weitere Unterweisungen bekäme ich am nächsten Tag. Statt dessen fahre ich mit meinem Mentor Arbeitsklamotten für mich besorgen. Da die Winterkleidung noch nicht da ist, bekomme ich zunächst Hose, Jacke, Mütze, T-Shirt, Handschuhe und Regenkleidung. Alles in schickem Signalgelb. Das Finden passender Arbeitsschuhe und Gummistiefel erweist sich zwar als Herausforderung aber nicht als Unmöglichkeit.
Als wir alles haben, fahren wir zurück zum Büro. Es ist bereits fast Mittagszeit. Ich melde mich testweise am Computer an. Ich soll schauen, zu was ich alles Zugang habe – schließlich habe ich nur Praktikanten-Rechte. Also die GIS-Daten Bearbeitung geht schon mal nicht. Ich kann nur gucken, naja kann ich wenigstens nichts kaputt machen.

Nachmittags fahren wir dann zu meiner ersten Baustelle. Wir stecken ein Schnurgerüst für ein Einfamilienhaus ab. Das ist an sich eine nicht besonders komplizierte Aufgabe. Allerdings haben sich die Messgeräte während der letzten vier Jahre weiter entwickelt. Die GPS-Antenne ist jetzt am Reflektorstab und nicht mehr auf dem Tachymeter und man hat Touchscreens die gut funktionieren – außer bei Regen – und die neuste Generation der Messgeräte quatscht einem eine Klingel ans Knie. Ich frag mich zwar wozu, denn das unamüsierte Düdlü wenn das Gerät die Sicht zum Reflektor verloren hat, reicht eigentlich völlig. "Wir haben die neuen Geräte erst zwei Wochen. Bis jetzt hat noch keiner heraus bekommen wo man die Sprache ausstellen kann." Mein mein Mentor und lächelt schief. Ich bin sehr zufrieden, dass wie die hellgrünen Geräte in den roten Koffern haben und nicht die gelben Geräte in den gelben Koffern. Letztere fand ich nämlich bereits im Studium sehr unübersichtlich und unhandlich. (Nein ich werde hier keine Marken nennen! Nicht das sich am Ende noch die Fachpresse auf mich beruft.)
Jeden falls messen wir zur Stationierung einen Polygonpunkt und zwei GPS-Punkte. Um den Polygonpunktkasten zu öffnen braucht man in Deutschland einen bestimmten Haken oder einen schmalen Finger. Hier nimmt man das Messer. Ja richtig, das Messer gehört hier zur Grundausstattung eines jeden Handwerkers und auf Baustellen tätigen Vermessers. Kein kleines Klapp-Taschenmesser, sondern eine einfache starre Klinge ca 10-12cm lang mit einem Griff und damit man es weg stecken kann ohne sich zu verletzen, einem Heft. Jedenfalls fällt meinem Mentor bei der Gelegenheit auf, dass ich noch kein Messer habe.
Im Messkeller zurück erhalte ich dann mein Messer, einen Zollstock und einen Druckbleistift. Ja und da es gegen 15 Uhr ist, gibt es erst mal eine Kaffeepause. Danach setzen wir uns noch an die Auswertung des Schnurgerüstes. Die Daten werden ins GIS eingelesen, die Hausoberfläche angepasst und die Attribute aktualisiert, sodass nun jeder im System sehen kann: Schnurgrüst ist erledigt. Dann ist Feierabend. Aufgrund der Menge an Informationen und vor allem der anderen Sprache fühlt sich mein Kopf wie eine Bleikugel an. Ich bin müde. Die halbe Stunde Radfahren bis zu meiner Unterkunft tut gut. Obwohl ich ziemlich schwitze, bin ich nicht mehr so kaputt als ich zu Hause ankommen. Man sagt ja auch, das Bewegung den Kopf frei mach und anregt. Beides stimmt in meinem Fall. Ich lese Abends noch etwas und gehe bei Zeiten schlafen.

Am nächsten Vormittag bekomme, unterbrochen von der täglichen 8:30-9:00 Kaffeepause (Fika), ich eine umfängliche Einweisung in unser GIS und generelle Informationen zum Umgang mit Daten und Informationen in meiner Position. Der Leiter meiner Unterabteilung übernimmt diese Aufgabe. Außerdem fragt er ob ich zu einer Schulung bezüglich unseres GIS nach Stockholm fahren würde. Ich bin etwas überrascht, aber natürlich bejahe ich das. Bisher hies "Schulung" immer lernen auf der Baustelle – also ein Mentor unterweist einen. Dass meine GIS-Kenntnisse nicht ganz aktuell sind, habe ich ja von Anfang an offen gelegt und bin sehr froh, dass man mir eine solche Chance bietet. Danach führt er mich noch durch die Planungsabteilung. Dort stellt er mich einigen Leuten vor und lässt sie auch etwas über ihre Tätigkeiten erzählen.
Das Stadtbaubüro, wie es wörtlich übersetzt heist, ist ein Teil der Komunalverwaltung und gliedert sich in vier Unterabteilungen. Planungsabteilung, Baurechtsabteilung, Landesvermessung (Grundstücksverwaltung) sowie die Mess- und Gisabteilung in der ich arbeite. Dazu kommen noch rein interne Aufgabenfelder wie Administration, Personalverwaltung etc. Diese befinden sich mit uns zusammen auf der Etage und sind für alle vier Abteilungen zuständig. Dann gibt es natürlich noch einen Ausschuss, der allerdings eher politische Wirkung hat und schwere Entscheidungen nach außen kommuniziert, bespricht und schließlich festsetzt. Ohne den Ausschuss, arbeiten rund 50 Menschen zusammen in der Stadtbauverwaltung. Wobei ich nur mit ungefähr zehn bis fünfzehn ständig zu tun habe. Soviel erst mal kurz zu meinem Arbeitsumfeld.
Mein Abteilungsleiter legt mir außerdem ans Herz, dass mich eingehend mit der schwedischen Sprache, besonders mit der Fachsprache befassen soll. Er borgt mir einige Bücher aus zu vermessungstechnischem Grundlagenwissen. Ich besorge mir ein Notizbuch aus dem Materialfundus und nutze die restliche Zeit bis zur Mittagspause um mich etwas in die Sprache der schwedische Vermessung einzulesen.

Nachmittags sind wir draußen auf Baustelle, ein weiteres Schnurgerüst abstecken. Da wir unter Anderem für die Aktualität von Bauwerksdaten (Gebäude, Straßen,...) zuständig sind, fahren wir danach noch einige andere Baustellen ab und schauen ob diese fertig sind zum Einmessen. Es ist Gang und Gäbe, dass man das Abstecken des Schnurgerüstes erfragt, die Fertigstellung jedoch nicht an uns meldet. Es ist also unsere eigene Aufgabe heraus zu finden, welche Baustellen wann fertig sind, um sie ein zumessen.
Abends bin ich wieder ziemlich platt. Ich schaue schwedische Nachrichten und eine schwedische Quitzshow "Wer weis am meisten", die eine halbe Stunde geht. Dann gebe ich mich meiner Müdigkeit geschlagen und lege mich schlafen.

Die nächsten Tage fahre verlaufen ähnlich. Mir werden einige wichtige Dinge erklärt, wie zum Beispiel, dass jeden Tag im Messkeller 8:30 bis 9:00 die Kaffeepause (Fika) ist und auch 14:30 bis 15:00. Ich vergesse das manchmal, wenn ich gerade dabei bin mich mit der Layer und Attributstruktur unseres GIS-Systems zu befassen. Ich fahre mit einem Kollegen auf Baustelle und wir gehen anschließend oder am nächsten Tag die Auswertung durch. Außerdem werde ich auf die Schalen mit Obst, die im Flur stehen hingewiesen. Das Obst ist für alle da. Für eine Zwischenmahlzeit, zum Beispiel zur Fika kann man sich da bedienen.
Freitag bekomme ich die Bestätigung für meinen GIS-Kurs. Er wird in der zweiten Oktoberwoche etwas nördlich von Stockholm statt finden. An- und Abreise erfolgt mit dem Zug und ich bin in einem Hotel unter gebracht. Frühstück ist im Hotelpreis drin und im Kurs sind 9:00 Fika, Luch und 15:00 Fika enthalten. "Wenn du Abends nur einen Tee benötigst, bist du also voll versorgt." sagt mein Chef halb lachend.

Am Samstag mache ich schließlich mal etwas Budenschwung. Auf den schwarz weißen Fake-Fliesen in Küche und Flur sieht man den Dreck doch sehr deutlich und wenn ich einmal dabei bin fege ich die ganze Wohnung und wische anschließend. Hm... ist wischen mit einem Mopp nicht sprachlich gesehen eigentlich mopping?
Den frühen Nachmittag verbringe ich mit Hasse beim Pilzesammeln, Trattkantarellen natürlich. Die schmecken aber auch gut! Nach einer Weile legen wir eine Pause ein, setzen uns jeder auf einen Stein lauschen dem Wald und reden ein Wenig. Er erzählt unter anderem von einer Reise, die er vor vielen Jahren unternommen hat. Er hat sich in Kalifornien ein Motorrad gekauft und ist die Westküste entlang Richtung Süden gefahren, durch die USA, Mexiko und Guatemala. Schon damals haben ihn deshalb viele für verrückt gehalten. Aber da war es noch nicht so gefährlich sagt er. Die gleiche Route würde er heute keinem mehr empfehlen.
Zurück bei meiner Unterkunft begegnen wir meinen Vermietern. Sie erzählen uns von einem Fest, das am nächsten Tag in der Nähe von meiner zukünftigen Wohnung statt findet. Es wird von der Holzfällervereinigung in Zusammenarbeit mit der Kochschule veranstaltet. Es wird einige Aktivitäten und Informationen zum Thema Wald geben und ein paar Schüler der Kochschule bereiten etwas leckeres zu Essen. Ich gebe den Beiden einige Pilze ab und bekomme alte Zeitungen zum Trocknen meiner Pilze.

Das Wetter am Sonntag ist sehr gut. 19°C zeigt das Termometer in Hasses Auto, als wir eine Nachbarin von ihm abholen und zum Fest fahren. Das Wort Nachbar muss ich kurz erklären, denn es wird hier manchmal ein Wenig anders verwendet. In Städten und Mietshäusern ist die Bedeutung gleich wie im Deutschen. Auf dem Land können Nachbarn Leue sein, die neben Einem wohnen, aber auch Leute die etwas weiter entfernt oder einige Höfe weiter wohnen. Man fasst den Begriff also etwas weiter.
Die ältere Dame ist freundlich und recht beredt. Sie erzählt einiges, stellt mir einige Fragen und lobt mein gutes Schwedisch. Allgemein kann man sagen, dass die Schweden offenbar gern loben. Mit Kritik tun sie sich hingegen oft etwas schwer. Wenn kritisiert wird, dann meist freundlich verpackt. Sollte euch also einmal ein Schwede freundlich darum bitten dieses oder jenes vielleicht zu unterlassen, kann es sein, dass er meint: Lass den Scheiß! Dafür fluchen sie gern, viel und bildhaft. Und noch eine praktische Angewohnheit haben sie die Schweden. Kennt ihr auch die Leute, die man in Deutschland nach dem Weg fragt und dann erzählen sie einem irgendeinen Scheiß, nur damit sie nicht zugeben müssen, das sie keine Ahnung haben? Dass das hier passiert ist sehr unwahrscheinlich. Nicht weil man sowieso das GPS fragt, sondern weil die meisten Menschen hier die Angewohnheit haben lieber zu sagen, dass sie keine Ahnung haben als etwas Falsches zu sagen. Das ist nicht besonders hilfreich, aber ehrlich und man verläuft sich nicht – also zumindest nicht aufgrund von Falschaussagen.
Fan (Teufel)... wo war ich noch? Achso das Fest ist auf einem kleinen gekiesten Platz im Wald. Es gibt einen Stand an dem man sehen kann welche Tiere so in den durch Regen entstehenden kleinen Wasserflächen im Wald leben, einen über den Elch und seine Lieblingsspeisen, eine Rätselrally, einige Stände zur Waldarbeit sowie einen Dosenschießstand (Luftgewehr) und natürlich ein Theke an dem zwei Schüler der Kochschule unter Aufsicht eines Ausbilders am offenen Feuer kochen. Es gibt eine Art Wildgeschnetzeltes mit Schwarzkohl, Wurzelgemüse und Preiselbeeren. Das ganze landet in einem Brötchen und schmeckt ausgezeichnet. Daneben kann man sich selbst am Wasser oder Kaffee bedienen und wenn man möchte auch eine kleine Süßspeise essen. Bezahlen muss man nichts dafür. Viele Leute sind selbst Mitglieder in der Vereinigung und melden dann nur an, wie viel Familie sie mitbringen. Da die Veranstaltung von Mittag bis zum späten Nachmittag geht muss ich euch leider enttäuschen: Neue Brennvin-Weisen habe ich dort nicht lernen können.

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