Dem Ernst des Lebens sein Bruder...
Hallöchen, ich hab mich jetzt doch entschieden einen neuen Eintrag zu Schreiben, statt den Alten fortzuführen. Daher ist der Bau-Warnhinweise im Alten verschwunden.

Der Start in die neue Woche ist kühl. Die Sonne scheint, aber die Temperaturen werden deutlich herbstlicher. Im Büro beschäftige ich mich zunächst weiter mit dem GIS-Frontend. 8:30 ist dann Wochenbesprechung mit allen Kollegen, die Baustellen vor Ort betreuen, im Messkeller. Es wird Kaffee getrunken, vielleicht etwas gegessen und dargelegt welche Baustellen wer in der laufenden Woche zu bearbeiten hat und welche Besonderheiten es gibt. Eine Besonderheit gibt es auf jeden Fall für mich: Einige Baustellen kann ich vorerst nicht betreten, da man dafür einen Dienstausweis benötigt und für diesen benötigt man, na was? Richtig! Die Personnummer und vermutlich auch noch die schwedische ID-Karte, die belegt, dass ich ich bin und mir diese Personnummer zugeordnet wurde... Nun ja, wie sang ein gewisser Herr Blanco nochmal "Ein Bisschen Bürokratie muss sein! Dann ist die Welt voll Sonnenschein...". Ich fahre also mit einem anderen Kollegen raus, auf eine Baustelle, die ich betreten darf.
Die Nachmittags-Fika ist heute etwas Besonderes. Es ist Apfeltag. Äh, dass muss ich erklären. Es gibt in der Kommune quasi AG's für die Mitarbeiter, also freiwillige Arbeitsgruppen, in denen man verschiedenen Passionen nachgehen kann. So gibt es eben auch eine Gruppe, die ab und an gemeinsam backt. Just diese Gruppe hat dieses Jahr das erste Mal einen Apfeltag veranstaltet. Das bedeutet es gibt schwedischen Apfelkuchen, ein Rührkuchenteig mit Apfelstücken und Zimt drauf, und dazu Vanillesoße. So wie die Schokolade auf das halbe Schweinsohr gehört, so gehört die Vanillesoße zum Apfelkuchen. Im ersten Moment etwas ungewöhnlich, aber schlußendlich sehr lecker! Und dazu ein heißer Kaffee. Nur das Arbeiten danach ist etwas störend beim Verdauen. 😉

Am nächsten Tag darf ich einen Kollegen, der nur einseitig hört, bei der Königsdisziplin der staatlichen Vermessung ins Gelände begleiten: Das Grenzsteinsuchen!
Um das ganze etwas zu illustrieren. Mein Kollege hat das GPS in der Hand – ein zwei Meter langer Stab mit einer diskusförmigen Antenne am oberen Ende und einer Spitze am unteren Ende, sowie einem Feldcomputer und einer Dosenlibelle dazwischen. In der Jackentasche hat er eine Farbspraydose. Ich: Den Spaten abenteuerlustig über die Schulter geschwungen, fünf Markierungspflöckchen in der anderen Hand, einen kühnen Blick im Gesicht und eine viel zu große Jacke an.
Direkt an der Wegkante beginnt dichtes Gebüsch. "Den da hab ich schon gefunden." Er deutet auf eine im Gebüsch wage erkennbare Anhöhe circa sieben Meter im Kraut. "Der Nächste liegt ungefähr genauso weit drinnen und 50m weiter in diese Richtung liegen." Ja und "in diese Richtung" ist Wald. Todesmutig schlagen wir uns ins Gebüsch. Nach etwa 50m stolpern wir tatsächlich über einen merkwürdig deplatziert wirkenden Stein. Das GPS-Signal ist im Wald in etwa so gut wie meine Handschrift in der ersten Klasse, also nur auf einen Meter genau erkennbar, und der Stein hat keine erkennbare Markierung. "Das ist ein Rohstein, ein sehr alter Grenzstein." erklärt mein Kollege.
Bei der Unterteilung von Forst- und Agrargrundstücken hat man in Schweden um 1800 wohl keine Atomspaltung betrieben. Der Stein läuft nach oben hin leicht schmal zu. Der Ermessensspielraum beläuft sich auf rund 30cm. "Wenn man bedenkt, dass die Grenzen oft händisch auf Karten mit einem Maßstab von ungefähr 1:1.000 bis 1:10.000 eingetragen worden sind, sind die Grenzsteine schon sehr genau." Durch den Kartenmaßstab, kann ein Strich auf der Karte in Wirklichkeit zehn Meter dick sein. Ein Grenzstein, der auf 30cm genau bestimmbar ist, ist also sehr genau. Aber glücklicher Weise wussten die Altforderen, dass ein Strich in einer Karte nicht eben exakt ist und schrieben Maße dazu, die sie mit Messketten bestimmt haben. Auf eben diese Maße und Korrekturen, die sich durch bereits gefundenen alte Grenzsteine bestimmen lassen, erhält man relativ genaue Koordinaten der gesuchten Grenzsteine. Der Grenzsteinsucher ist quasi der Indianer Johns unter den Vermessern.
Nach drei Stunden semiarchäologischer Außendienstarbeit haben wir 4 von 8 Punktmarkierungen gefunden und sind einigermaßen zufrieden. Ich entdecke drei Zecken auf meiner knatschgelben Arbeitshose. Ja, das Leben ist schon gefährlich als Vermesser. Das ist nur was für Menschen mit stahlharten Nerven. Außerdem ist gleich Mittagspause.
Nachmittags setzen wir unsere Suche nach Steinen an anderer Stelle fort und werden fündig. Etwas beunruhigend finde ich eine Markierungsart, die wir auf einem großen, gewachsenen, runden, sehr gemütlich aussehenden Stein finden. Dazu wird zunächst ein Loch gebohrt und dann ein Eisendorn eingesetzt. Unter Moos verborgen ist der dann fast unsichtbar. Äh, bitte prüft große moosüberzogene Steine auf evtl. herausragende 10cm lange rostige Metaldorne bevor ihr euch schwungvoll setzt. Pünktlich zur Kaffeepause sind wir fertig. Im Büro wird zunächst pausiert und dann etwas Auswertung betrieben.

Der Mittwoch beginnt mit einer Besprechung mit allen Kollegen unserer Unterabteilung. Das findet wohl alle zwei Wochen statt. Damit jeder im Bilde ist, wie der Stand bei welchem Projekt ist. Es werden auch Änderungen und evtl. zukünftige Projekte besprochen.
An diesem Tag bleibe ich im Büro. Eine Kollegin zeigt mir zunächst die hier angewandte Technologie zur Stereobild-Kartierung und lässt mich dann auch selbst kartieren. Das ist spannender als es vielleicht klingt. Mit 3D-Brille und Maus bewaffnet sitzt man am Computer und zeichnet markante Geländemerkmale nach, entscheidet was irrelevant ist und bereitet damit die Arbeit des Außendienstes vor. Endlich mal eine sinnvolle Anwendung von 3D-Monitoren. 😋

Donnerstags bleibe ich weiterhin im Innendienst. Die Arbeit vom Vortag ist schließlich noch nicht abgeschlossen. Denn das reine Kartieren ist nicht die ganze Arbeit. Es sind rechtliche Fragen zu klären, das Layout zu setzen,...
Nachmittag habe ich einen Termin beim Fotografen. Jeder hier hat ein Schild an der Tür mit Namen und Foto. Ja und letzteres hat bei mir noch gefehlt. Der Fotoladen ist nur 10min Laufweg entfernt und der Fotograf freundlich. Im Untergeschoss werden die Bilder, stehend vor einem neutralen Hintergrund gemacht. Ich hinterlasse meine Firmen-Email und das wars.
Kurze Zeit später erhalte ich eine Nachricht aus Rinkaby. Ich habe einen Brief erhalten – vom Skatteverket. Endlich! Meine Personnummer ist da!
Nach der Arbeit fahre ich daher nicht heim, sondern erstmal dahin um den Brief abzuholen. Eigentlich will ich ja gar nicht lange stören, am Ende bleibe ich zwei Stunden. Wir quatschen und ich werde auf ein paar Bemmen zum Abendbrot eingeladen. Der Herr des Hauses ist nicht da. Die Damen aber schon, drei Stück. Die jüngste ist noch kein Jahr und macht ziemlich lautstark klar, dass sie Hunger hat. Ihre große Schwester spielt und die Mutti entschuldigt sich bei mir für die Lautstärke, denn eigentlich ist die Kleine ganz lieb, aber Hunger macht ja bekanntlich "böse". Nach dem das arme Kind gegessen hat ist die Welt wieder gut. Es ist sehr interessant sich zu unterhalten.
Hergekommen sind sie vor 10 Jahren, er schon vor 12. Zu der Zeit hatte er seinen Dachdeckermeister gemacht und in Deutschland war Flaute in der Branche. Da gab es wohl von der ARGE eine Aktion für Handwerker erst für Frankreich und dann für Schweden, mit Sprachkurs. Jedenfalls ist er mit löchrigen Schwedischkenntnissen hier hoch gezogen in das Haus, welches ich anmieten werde. Zu der Zeit war es nur eingeschossig und sehr klein. Sie hat zu der Zeit noch in Dresden Architektur studiert. Als sie dann fertig war, etwa 2 Jahre später ist sie nach gezogen. Ohne so richtig zu wissen was sie erwartet. Dann haben sie die zweite Etage angebaut. Das erste Kind war unterwegs und schließlich ist man ein paar Häuser weiter gezogen. Das Leben ist nicht immer einfach, aber es ist gut. Sie arbeitet in einem Architekturbüro in der Stadt. Nicht weit von meinem Arbeitsplatz entfernt. Wenn es im Frühling wärmer wird, den Sommer über und Anfang Herbst fährt sie mit dem Fahrrad. Dann mit dem Auto. Aktuell ist sie in Elternzeit, aber Anfang Januar wird sie wahrscheinlich wieder arbeiten. Wenn es zeitlich passt kann sie mich dann auch mitnehmen sagt sie.

Am nächsten Morgen ist Monatsbesprechung mit der gesamten Belegschaft des Stadtbauamtes. Es werden große Bauprojekte, Auszeichnungen für Besondere Projekte und personelle Veränderungen besprochen. Eine dieser Veränderungen ist eine Dame, die in den Ruhestand geht. Seit 1975 arbeitete sie hier, so lang wie noch Keiner vor ihr. Die Abschieds- und Dankesworte des Leiters sind nicht abgelesen, humorös und herzlich. Die andere Veränderung bin ich. Glücklicherweise ist mein Schwedisch mittlerweile besser geworden, denn ich soll mich selbst vorstellen. Ich bin vor gewarnt und hab mir ein paar Stichpunkte gemacht, damit ich nicht vor lauter Aufregung alles vergesse. Meine Frage, ob ich nach vorn treten soll oder am Platz stehen bleiben darf, hat kurzes Gelächter zur Folge. Ich sage kurz woher ich komme, wie alt ich bin, meine Ausbildung und was ich beruflich vorher so gemacht habe. Da ich keine Ahnung habe wie man so einen Monolog abschließt sage ich am Ende "Ja... Das bin ich." und offensichtlich war das gut so.
Wegen des Verabschiedens der langjährigen Kollegin gibt es danach zum Kaffee "smörgåstårta". Das ist eine Art Herzhafter Kuchen aus Brot, Krabben, Lax, Gurke, Majonaise, etc. dekoriert mit Salatblättern. Schmeckt gut und ist sehr gehaltvoll, man braucht nur ein Stück und ist pappsatt. Um ein lecker zu erhalten, könnte die Majonaise für meinen Geschmack herzhafter gewürzt sein. Aber es ist durchaus ein Erlebnis. Ich brauch danach jedoch eine weitere Tasse Kaffee um meinen verdauenden Körper in Arbeitsbereitschaft zu bringen.
Auch heute bleibe ich im Büro ein Kollege erklärt und zeigt mir und einem weiteren Kollegen unsere interne Webarbeitskarte sowie ihre Funktionen und Einsatzmöglichkeiten. Nachmittags habe ich Zeit mich weiter mit unserem GIS und mit Vermessungstechnischen Grundlagen, wie dem schwedischen Referenzsystem zu beschäftigen und außerdem ist Freitag, da arbeitet man nicht so lange.



Der Samstag ist wie die ganze Woche: Sonnig und recht trocken. Das ist merkbar, als wir am Samstag Nachmittag nach Pilzen schauen. Nur an wenigen Stellen sind sie gewachsen und einige sind schon halb getrocknet. Hasse und ich unterhalten uns über Renten- und Vorsorgesysteme. Er hat selbst einige Zeit in der Banken- und Versicherungsbranche gearbeitet. Ich stelle fest, dass der Gebrauch des Wortes Aktie im Deutschen und schwedischen nicht ganz gleich ist. Oder aber, dass ich zu wenig Wissen in diese Richtung habe. Denn es wird hier auch dafür verwendet, wenn man einem kleinen Unternehmen vor Ort Geld für Investitionen gibt und das dann verzinst wird. Für mein Verständnis haben Aktien nur Unternehmen, die Börsen-notiert sind. Fonds sind, soweit herrscht Einigkeit, doof. Weil man da nicht weis, was alles dahinter steckt.
Ein Haus mit Grundstück, auf dem man auch etwas anbauen kann ist auf jeden Fall eine gute Sache. Bei Waldgrundstücken, wird es schon etwas komplizierter.
Viele hier haben ein Stück Wald. Das Holz wird gern als Zubrot für den Ruhestand oder als Sicherheit für schlechte Zeiten genommen. An sich keine schlechte Idee. Vor einigen Jahren jedoch hatte man hier jedoch einen fürchterlichen Sturm. Viele Hektar Wald waren umgefallen. Der Holzpreis sank auf ein Rekordtief. Einige Leute hatten gerade erst ein Haus gekauft oder gebaut und hatten den Wald als Sicherheit genommen um ihre Kredite abzuzahlen, nun waren sie komplett ruiniert. Die Anzahl der Opfer während des Sturms war sehr gering, danach wurde es schlimmer.
In Bezug auf die Rentenvorsorge gibt es in Schweden ähnlich wie bei uns eine staatliche und verschiedene private Modelle. Die meisten größeren Unternehmen haben eine Art Zusatzrententopf, in den man einzahlen kann ähnlich wie bei uns. Intensiver hab ich mich damit jedoch bisher nicht befasst. Ersteinmal Personnummer, Festanstellung und diese ganzen Dinge haben, dann über alles Weitere nachdenken.

Wettertechnisch ist der Sonntag etwas neben der Spur. Es ist grau, kühl und nieselig. Im Garten fallen die Äpfel von den Bäumen. Ich habe mir unter der Woche Strickzeug besorgt. Ich mummle mich ein, schreibe am Blogg, koche Apfelmuß und beginne schließlich zu stricken. Ja dafür ist das Wetter gerade recht...

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