Plinsen, Preiselbeeren und Apfelmus
Die nächste Arbeitswoche beginnt mit einer kurzen Besprechnung zu den aktuellen Aufgaben und Baustellen. So langsam bekommt das Leben hier einen Rhytmus. Man könnte auch sagen der Alltag schleicht sich ein.
Alltag, ein Wort das die Meisten wohl mit Hamsterrad und jeden Tag den langweilig gleichen Ablauf verbinden würden – tristes grau, gelangweiltes Gähnen und schlechter lauwarmer Kaffee garniert mit schalen Wortwitzen. Aber ganz ehrlich? Nein. Es ist schön! Nennt mich einen Langweiler, aber nach beinahe vier Jahren auf gepackten Koffern, Baustellen die immer neue selten angenehme Überraschungen bereit halten und unzähligen Nächten mit mehr oder weniger gutem Schlaf, bin ich erst mal gesättigt. Satt von ständiger Veränderung und dem lauten Leben rund um mich.
Wenn ich an die letzten Monate im alten Job zurück denke fällt mir immer ein Bild ein. Ein Kind steht auf einer Verkehrsinsel. Es ist müde. Die Sonne ist bereits unter gegangen. Ringsum sind Hochhäuser mit verlockend bunter Leuchtreklame zu sehen. Autos fahren dicht an dicht und zeichnen rote und weiße Linien in die Luft und wenn die Ampeln umschalten ergießen sich Fluten von geschäftigen Erwachsenen über die Straße. Sie überspülen die kleine Insel. Eine Frau in förmlicher Kleidung spricht mit unglücklicher Miene und sehr freundlichem Ton in ein Telefon, ein Mann schaut ihr nachdenklich nach und stolpert am Bordstein. Ein Anderer läuft gegen ihn und flucht verhalten. Die Ampel schaltet auf rot. Eine Gruppe Teenager rennt noch über die Straße... Das Kind schaut. Gebannt von all den Eindrücken rundherum, unfähig sich zu bewegen obwohl es genau weis, dass es noch nach Hause laufen muss...
Ich bin mir nicht sicher, ob ich einfach nur älter werde oder ob es an der Sättigung liegt; aber ich genieße die Regelmäßigkeit, Planbarkeit und Ruhe. Es ist fühlbar, dass die Umgebung mich ruhiger werden lässt. Ich bin kein Betong-Mensch. Knarrende, sich leicht biegende Holzdiehlen sind mir lieber als die staubig riechende Sterilität von kalten Neubauwänden. Das tägliche Radfahren zur Arbeit belebt mich und durch die Flexzeit muss ich mir keine Gedanken machen, wenn ich auf dem Weg anhalte und fasziniert von der Stimmung um mich herum, schaue und Fotos mache. Sechs Kilometer Fahrrad fahren klingt viel, aber die Strecke ist schön. Vorher denkt man "Uff!", nachher denkt man "Schon vorbei?".

Ich habe endlich Zeit um Dinge zu machen, die ich seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr gemacht habe. Dinge, für die ich Ruhe und Muße brauche. Die Apfelbäume im Garten sind voll mit reifen saftigen Früchten. Es sind ganz verschiedene: große grün-gelbe und kleine die so rot sind, als hätte man sie angemalt. Ich sammle etliche der auf der Wiese liegenden Früchte auf. Aus den angeschlagenen Koche ich Apfelmus und friere ihn ein. Meine Vermieter sind froh darüber, dass ich mich mit um die Äpfel kümmere. Denn es sind so viele und es ist schade darum wenn sie verderben. Die Pferde mögen die Äpfel zwar gern, dürfen aber nicht zu viel davon essen und zum Mosten haben sie es dieses Jahr nicht geschafft.
Bei der Arbeit, Höhenraster auf einem zukünftigen Baugrundstück, stelle ich fest, dass es noch immer reife Preiselbeeren gibt. Die Pflanzen wurden offensichtlich schon einmal abgeerntet, doch die zweite Ernte könnte noch einiges Abwerfen. Doof nur, dass ich mich aus einem ganz anderen Grund durch die Beerenbüsche arbeite. Ich hab auch keine Tüte mit und einzeln pflücken ist eh zu aufwändig. Preiselbeeren werden mit einer Art Schaufel mit Kamm dran geerntet. Diese Dinger erinnern mich immer etwas an die Katzenkloschaufeln...

Am Mittwoch schaffe ich es endlich zum Skatteverket zu gehen und mit der Personnummer, die ich endlich habe, meine schwedische ID-Karte zu beantragen und mich bei der Krankenversicherung anzumelden. Ach ja, die Personnummer... es ist ein tolles Gefühl sie endlich zu haben, aber am bürokratischen Ziel ist man damit noch nicht. Wenn ich dann die ID-Karte habe, dann kann ich endlich ein Konto eröffnen und viele andere tolle Dinge tun... zum Beispiel Lohn bekommen. :D
Ich kaufe Eier und Mehl. Ich habe Lust auf Plinsen. Schön mit Butter und Zucker. Hm, ziemlich süß. Ich gebe Preiselbeermarmelade dazu. Das leicht herbe Aroma der Beeren passt großartig.

Freitag Morgen zeigt sich der Herbst von seiner kalten und wunderschönen Seite. Die Sonne klettert farbenfroh den beinahe wolkenlosen Himmel hinauf. Der Morgennebel hat noch keine Lust zu verduften. Träge räkelt er sich auf Wiesen und Wasserflächen. Der Wind schläft noch. Da ich mich dem nicht entziehen kann, komme ich gut zehn Minuten später zur Arbeit als üblich.





So klar, sonnig und windstill das Wetter am Vortag war, so grau, regnerisch und windig ist es heute. Zum Frühstück gibt es Plinsen mit frischem Apfelmus. Großartig! ...und eine willkommene Abwechslung zum Müsli mit Dicksaft.
Da in der Woche noch ein Brief für mich gekommen ist, möchte heute ich nach Rinkaby zu meinen zukünftigen Vermietern fahren. Der Blick aus dem Fenster – besonders die hastigen Bewegungen der Bäume – lässt mich jedoch zweifeln. Ich unterhalte mich mit meinen skir'er Herbergseltern. Sie laden mich für den nächsten Abend zum Essen ein. Dann bieten sie mir an, dass ich den kleinen Pickup nehmen kann. Bei dem Wetter Fahrrad fahren, nein das muss nicht sein. Das Auto brauchen sie heute eh nicht, sagen sie. Ich bin ehrlich gesagt erleichtert.
Als ich in Rinkaby ankomme, gibt es gerade Kaffee und heiße Waffeln mit Apfelmus. Ja dieser innere Wecker funktioniert noch sehr gut. Ich bekomme meinen Brief und wir quatschen eine ganze Weile. Der Sommertrabant ist kaputt gegangen – pünktlich im Herbst, wo er eingemottet wird und der Wintertrabant aus dem Carport geholt wird. Was kaputt ist? Naja, die Lichtmaschine hat sich freundlich in den Rückspiegel winkend verabschiedet. Weit ist sie nicht gekommen, sie wurde natürlich aufgelesen und mitgenommen. Kann ja nicht angehen, dass jetzt jeder macht was er will! Jedenfalls war der Kühler der Ansicht: Also wenn die Lichtmaschine einfach abhaut hab ich auch keine Lust mehr woraufhin der Motor sich, trotz der kühlen Temperaturen, so sehr geärgert hat, dass er überhitzt ist und den Dienst quittiert hat.
Aber warum eigentlich Sommer- und Wintertrabant? Wohl zu faul die Reifen zu wechseln? Äh nein. Das Problem ist, dass die liebe Pappe durch das wohl extrem starke Gesalze der Straßen hier, bereits nach dem ersten Winter an äußerer Eleganz verloren hat. Ja und irgendwann hat man sich dann – man gönnt sich ja sonst nichts – einen Sommertrabant besorgt und der bleibt zu Hause, bis das Salz von den ersten starken Frühlingsregen von den Straßen gewaschen wurde.
Dann gehen wir eine Runde spazieren. Die große Tochter fährt mit ihrem Kinderfahrrad mit. Hinzu hat sie viel Spaß daran. Aber auf dem Rückweg ist sie total kaputt und teilt das in kurzen Zeitabständen laut und tränen reich der Umwelt mit. Es hilft nichts, zurück muss sie ja. Ihre Mutti lässt sie ihren Unmut mit der Umwelt teilen. Wir haben schon alles mögliche versucht, sagt sie. Am besten funktioniert es, wenn man sie machen lässt, ihr ab und an gut zu redet und sie hin und wieder etwas anschiebt. Sie leidet gern dramatisch. Sie ist einfach ein Mensch, der alles intensiv lebt. Ob sie glücklich ist oder unzufrieden: Rätselraten muss man nicht, sie zeigt es sehr direkt. Wobei das natürlich nicht immer angebracht ist. Wir haben schon überlegt zur Theatergruppe anzumelden, vielleicht lernt sie da ja ihre Gefühle besser zu kontrollieren.
Als ich zurück nach Skir fahre, ist es schon um neun und stockdunkel. Spätestens jetzt bin ich sehr froh, dass ich nicht mit dem Fahrrad gefahren bin.

Am nächsten Tag beginne ich schon mal zusammen zu räumen, schließlich fahre ich nächste Woche zum Kurs nach Stockholm und ziehe danach ja schon um.
Abends gehe ich nach unten. Außer mir ist auch der Sohn mit Freundin und tarikartigem Hund da. Der Hund ist jedoch erst drei Jahre alt und also ehrlich Schmittl war super schnell, wenn um Essen auf dem Boden ging, aber das... Also die Dame des Hauses hat Kräuterbaguette – frisch aus dem Ofen also richtig heiß – geschnitten. Dabei ist ihr ein Stück runter gefallen. Der Hund lag drei Meter entfernt auf dem Boden. Ich bin mir fast sicher, den Aufprall des Brotstückchens gehört zu haben nachdem der Hund es verschlungen hat.
Es gibt leckeres geschmortes Fleisch mit Oliven, dazu Reis, das erwähnte Baguette und gebratene Tomatenhälften. Ein Gläschen Weißwein gibt es auch dazu und natürlich eine angeregte Unterhaltung. Das Haus in dem ich gerade im Mittelgeschoss wohne, wird die Tochter meiner Vermieter komplett übernehmen, wenn sie in einiger Zeit hierher zieht. Ihre Eltern ziehen in ein anderes Haus auf dem Grundstück um – das Grundstück ist wirklich groß. In dem hatte vorher der Sohn und seine Partnerin gelebt. Die haben sich aber jetzt an anderer Stelle in Skir ein neues Haus gebaut.
Zum Nachtisch gibt es schwedischen Apfelkuchen mit Mandeln und Vanillesauce. Dazu gibt es natürlich: Kaffee. Wir sitzen zusammen bis gegen zehn. Dann falle ich müde, satt und zufrieden ins Bett und schlafe schnell ein.

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